Allein in der Planung eines Gesprächtermins schon steht der Verkaufssieg über den Kunden, nicht aber der Kunde und seine Bedürfnisse selbst im Vordergrund, wobei Worte wie „Strategie/strategisch“, „Taktik/taktisch“, „operational“, „Superselling“ etc. dominieren… und da das Denken das Handeln bestimmt, bleibt auch beim (mit seinem getätigten Kauf zufriedenen) Kunden der Eindruck: mein Verkäufer hat verkauft – zum Nutzen seiner Firma und seines eigenen Portemonais. Und dieser Nutzen war primär, der Nutzen des Kunden jedoch stand hinten an.
Fakten, die dazu führten, daß der Berufsstand „Verkäufer“ in Mißkredit geriet und in der Beliebtheitsskala ganz weit unten rangiert. Diesem Bild des `abgehalfterten‘ Verkäufers möchte ich gerne einem idealtypischen ‚Verkäufer‘ konterkarieren: den „Kundenberater“.  Als Fachmann auf dem speziellen Gebiet der Kundenprobleme will er den Kunden so beraten, daß für diesen die optimale Problemlösung findet, wobei der beste Abschluss für ihn auch den Nicht-Abschluß bedeuten kann.  Wer als Kunde die Erfahrung macht, daß sein Kundenberater so ehrlich ist, daß er auch einmal vom Kauf seines Produktes oder Dienstleistung abrät, der hält diesem die Stange und fragt bei jedem auftauchendem Problem zuerst einmal bei diesem an.
Doch wie sieht die „Gesprächspraxis des Kundenberaters“ aus?

Baustein I - Erfolgsanalyse

Da fast jeder Kundenberater nicht bei „Null“ anfängt, steht bei ihm die Analyse im Vordergrund. Doch anstatt nur eklatante Misserfolge, Pannen und Reinfälle zu diagnostizieren, erkennt er die Nützlichkeit einer Erfolgsanalyse:

  • Aus welcher Bedarfslage kaufte der Kunde? Waren besondere Sympathien im Spiel, der Zeitpunkt besonders günstig?
  • Gab es Andeutungen über die Situation der Mitbewerber?
  • Welche Argumente oder vorgelegten Unterlagen kamen besonders gut an?
  • Welche Dinge beeinflussten das positive Gesprächsklima?
  • Welcher Produktnutzen erschien dem Kunden am wertvollsten,
  • welche Argumente steuerte er selbst bei?
  • Welche sind warum meine besten Kunden – welche Nicht-Kunden weisen ähnliche betriebliche, umsatzvergleichbare und sonstige Daten auf? Warum sind sie dann immer noch Nicht-Kunden? Könnten sie die gleichen Argumente wie meine Kunden beeinflussen?

Baustein II - Route und Planung

Dem Kundenberater ist zwar nicht Zeit = Geld wie dem Verkäufer, er möchte jedoch im Interesse seiner wirklich bedürftigen Kunden den Spreu vom Weizen der potentiellen Abnehmer seiner Nicht-Kunden trennen. Ein bewertes Mittel ist dafür die dem Kunden offerierte kostenpflichtige Studie über die Möglichkeit des Einsatzes seiner Produkte, welche natürlich bei Auftragsabschluß voll auf den Auftragswert angerechnet wird. Als eventuelle Service-Leistung offeriert, signalisiert die Art und Weise der Ablehnung das Interesse des Kunden an der Auftragswahrscheinlichkeit.
Für seine Kundenbesuche legt der Kundenberater Wert auf sein „Time-management“, d.h. er versucht, die bestehenden Kundenkontakte nicht zu vernachlässigen (eines Tages könnte ja bei der schlafenden Konkurrenz der Wecker klingeln!), abgesprungene Kunden wiederzugewinnen (vielleicht haben die gerade ihre erste große Enttäuschung mit dem Mitbewerber-Produkt bzw. dem Konkurrenz-„Verkäufer“ hinter sich!) und neue Beratungsgespräche zu akquirieren. Tip: Disponieren Sie für alle drei Kundenschichten feste Termine in Ihrem Kalendar, sonst droht die Gefahr einer partiellen Ungleichheit. Legen Sie auch (variable) Fahrrouten für die Gespräche fest, da sonst eine regionale Unterrepräsentanz droht.

Baustein III - Gesprächs-Angelhaken und - Köder

„Aller Anfang ist schwer“, sagt das Sprichwort und könnte die Terminvereinbarung meinen. Doch da helfen einige ungewöhnliche Tipps:

  • Ein Kundenberater, der bei Werbeleitern von Großunternehemn keinen Gesprächstermin vereinbaren konnte, kontaktierte daraufhin sein Klientel per Brief: „…zufällig in Augsburg …, gerne bei dieser Gelegenheit Besuch abstatten … mit Zielsetzung…werde ich Sie am Montag um 15.10 Uhr besuchen, wenn ich von Ihnen nichts Gegenteiliges höre.“ Viele seiner Kunden hatten plötzlich Zeit – es war bequemer, als eine Absage zu formulieren. Der Kunde war zumindest erst einmal bereit, seine Zeit zu opfern …
  • Wer einen konkreten Termin vereinbaren möchte, der schlage zumindest dem Kunden zuerst eine Grobalternative vor, die da nicht lautet „wann hätten Sie Zeit für mich?“, sondern: „paßt es Ihnen besser am Vormittag oder Nachmittag des 1.4.1991?“
  • Kunden bewerten Terminanfragen nach einer inneren Uhr. Wenn der Berater anfragt, ob der Termin um „11.oo Uhr“ klargeht, durchmißt der Kunde die Spanne bis zur nächsten vollen Stunde. Eine Termindisponierung für „10.30 Uhr“ wird als halbstündig registriert.
  • Kennen Sie auch die ungewöhnlichen Zeiten Ihrer Kunden? So manch ein Kunde wünscht „schräge“ Besuchstermine, zb. sonntags, samstags, früh morgens vor der Betriebshektik.

Baustein IV - Das eigentliche Gespräch

a. Die „Warming-Up-Phase“:

Sollte der Kunde nicht gleich „zur Sache!“ drängen, so empfiehlt es sich, beim letzten Gespräch oder Treffen anzuküpfen: „…nochmals danke für den Buchtip …“, „…hat die Suche nach dem neuen Marketing-Leiter gefruchtet…?“  Sprache – und das ist ein Gespräch substanziell – hat eine kontaktive und selbstdarstellerische Funktion. Zwar muß nicht immer über das Wetter, die Straßenverhältnisse oder sonstiges geredet werden, aber Hobbies, Raumambiente, etc. sind gute Anknüpfungspunkte, um eine emotionale Beziehungsebene zwischen Kunden und Berater zu schaffen, um ein Gespräch von Persönlichkeiten zu initieren, nicht aber über ein abstraktes Produkt (Dienstleistung). Schließlich: 90 % aller Entscheidungen werden ‚aus dem Bauch heraus‘ („emotionale Beziehungsebene“) getroffen, und wo das Gefühl stimmt … da stimmt auch die Sachebene. Übrigens: hier gilt es, einen guten Eindruck zu machen, denn eine alte Regel sagt: „Der erste Eindruck ist entscheidend, der letzte bleibt!“

b. Die Hinführungs-Phase: 

Während der Verkäufer bereits zu wissen glaubt, welches Produkt er dem Bedürfnis des Kunden überzustülpen habe, weiß der Berater um seine Produkte, aber auch um sein Nichtwissen bezüglich der Bedürfnisse seiner Kunden. Folglich redet der Erstere auf den Kunden ein, der Letztere hingegen „fragt“ (denn: „wer fragt, der führt das Gespräch!“) und signalisiert seinem Gegenüber: „ich bin an deinen Wünschen interessiert, ich will dich dort beratend abholen, wo du fragend, problemorientiert oder wünschend stehst!“.

c. Die kundenorientierte Präsentations-Phase: 

Bieten Sie Ihrem Kunden das beste Produkt, die beste – auf sein spezielles Problem zugeschnittene – Lösung zuerst an. Die zuerst gezeigt Qualitätsstufe wird im weiteren Gesprächsverlauf zur Bewertungsskala des Kunden – falls er noch keinen Vergleichsmaßstab aufzuweisen hat. Für die Präsentations-Phase gilt die klassische „Drei-Kanal-Argumentation“, d.h. der Kunde muß Informationen sowohl fürs Auge, Ohr als auch auf der Gefühlsebene geboten bekommen, wobei ca. 75 Prozent der im Gehirn abgespeicherten Fakten über den Sinneskanal ‚Auge‘ aufgenommen werden.  Das Zauberwort für eine gute Präsentation ist deshalb auch das „Visuell and Talking Entertainment“ – dort, wo es möglich ist, sollte der Kunde beim Beratungsgespräch „unterhalten“ werden; es muß ihm Spaß machen, die von Ihnen gegebenen Informationen wie ein nasser Schwamm aufzusaugen. Auch hier gilt: „49 Prozent Fachwissen wird vorausgesetzt – 51 Prozent jedoch bestimmt Ihr Auftreten“, also die Art und Weise der Wissensvermittlung. Dann wird es Ihnen auch nicht passieren, daß Ihnen Ihr Gegenüber kurz einmal „im Gespräch wegnickt“, wie mir ein junger Akquisiteur unlängst aus seiner Praxis zerknirscht mitteilte. Übrigens: es war ein konstruktives Gespräch (ohne Ergebnis).

d. Die Argumentations-Phase. Überdenken Sie für diese Phase folgende Punkte:

Welches ist mein stärkstes Argument für mein Produkt/Dienstleistung?
Welche Frage könnte den Kunden am besten veranlassen, über dieses Vorteilsargument praxisnah nachzudenken?
Was wäre ein unheimlich interessantes Fallbeispiel, um dieses Argument zu verstärken?

Nur ein dickes Argument, werden Sie fragen? Warum empfehlen denn viele andere Verkaufstrainer Argumentationsketten von 4,5 oder 6 Argumenten, die strategisch vorgetragen werden müssen? Meine Antwort: das weiß ich auch nicht! Denn schließlich ist es doch so, daß unser bestes Argument durch andere, die schlechter sind, nur relativiert werden kann, anderseits werden bei zig genannten Argumenten die anderen wieder vergessen ( wie übrigens vieles andere im Gespräch auch; so hat der Gesprächspartner nach 1 Stunde nur noch etwa 10 Prozent des Gesagten abrufbar (!) im  Kopf). Wer dennoch verschiedene Argumente anzuführen hat, der sollte dem Kunden eine Visualisierungshilfe geben: schreiben Sie die genannten Vorteile stichwortmäßig lesbar für den Kunden auf. Übrigens: so mancher Kundenberater hat aus diesem Grunde schon gelernt, Druckbuchstaben auf dem Kopf zu schreiben. Bevor Sie jedoch mit den Stichworten beginnen, setzen Sie noch einen psychologischen Anker in der Überschrift:
„Das bedeutet für Sie: ….“

e. Einwand-Phase:

Kunden sind von Natur aus gegenüber jedem Beratungs- und Verkaufsgespräch mißtrauisch. Heimlich suchen sie nach dem bekannten „Pferdefuß“, der der Sache anhaftet. Der Kundenbarater weiß deshalb, was er zu tun hat – er nimmt den Mangel, von dem er weiß, daß er für den Kunden irrelevant ist, vorweg. Bei einem relevanten Mangel schließt er keinen Auftrag ab! Ein Beispiel: als ich vor kurzem meinen Computer nachrüsten ließ, erkundigte ich mich auch nach einem neuen Drucker. Fazit des Verkaufgespräches: man wollte mir einen Drucker ‚zu einem Sonderpreis‘ (der viel zu teuer war!) aufschwatzen, der mit meinem Software-Programm gar nicht lief.
Einer der wichtigsten Einwände, mit denen die meisten Berater kaum umgehen können, ist der Einwand, daß der Kunde bereits seit langem seine Produkte „bei einem guten Freund“ bezieht. Hier helfen oftmals zwei Entkräftungen: bei guten Freunden stimmt meistens der Preis, jedoch oftmals der Service nicht (Anfrage!), anderseits ist alte Freundschaft schön, doch der Kunde ist primär seinen eigenen Kunden/Mitarbeitern verpflichtet (als Frage formulieren!)
Eine ausführliche Einwandbehandlung würde hier den Rahmen sprengen, dafür empfiehlt sich eher ein Seminar. Dennoch zwei Tips: 1. seien Sie möglichst ehrlich, denn das währt bekanntlich am längsten; 2. freuen Sie sich über jeden Einwand, er zeigt Gesprächsbereitschaft und Interesse des Kunden.

f. Abschluss-Phase: 

Nehmen wir einmal an, der Kunde verspürt den Wunsch zu kaufen. Nun können Sie als Kundenberater zwei Fehler machen: 1. Trotz der letzten Zweifel im Kunden den Abschluss tätigen (denn das wird ihm vielleicht noch wochenlang im Magen liegen und ganz bestimmt ihr nächstes Gespräch negativ beeinflussen!), 2. den deutlichen Wunsch des Kunden, er wolle kaufen, noch einmal mit Argumenten zu untermauern. Denn wer sich zum Kauf entschlossen hat, der möchte unterschreiben.
Bevor Sie nun jedoch den Kunden verlassen, machen Sie mit ihm noch einen Termin aus, an dem das nächste Gespräch stattfindet.

Baustein V - Die "seelsorgerliche Nachbereitung"

Sorgen Sie nach dem Gespräch und einem möglichen Abschluss dafür, daß einerseits alle Versprechen eingehalten werden, zb. pünktlich geliefert wird (d.h. aber auch: keine Woche zu früh!), anderseits – und da schließt sich der Zirkel – analysieren Sie das Gespräch anhand der oben genannten Merkmale. Und zwar möglichst schnell, vielleicht sogar bereits im Auto?!
Denken Sie daran: Sie verkaufen keine Produkte oder Dienstleistungen, sondern stehen und fallen mit Ihrer Persönlichkeit!

Literatur:

  • Harald Scheerer, Den Kunden gewinnen. Beraten statt verkaufen. wirtschaftsverlag Langen-Müller/Herbig 1990.
  • Eberhard Puntsch, 222 Ideen für erfolgreiches Verkaufen, Verlag moderne industrie 1990.
  • Walter Pollack, Gesprächsführung im Wandel. Aufsatz. Zu beziehen kostenlos über Mummert + Partner FVT, Erftstadt (02235/6081). Grundlegend!
  • Wolfgang Saaman, Effizient Führen – Mitarbeiter erfolgreich machen. Gabler 1990.
  • Karsten Bredemeier, Medien-Power. Orell Füßli Verlag 1990, S.160ff (Kommunikation)
  • Karsten Bredemeier, Provokatives Verkaufen, Orell Füssli 2005